(то-бишь: про лихие девяностые годы)
Eine Antonov-22-Transportmaschine
Geklauet von der Seite MCA.Su
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Vor kurzem entdeckte ich verlorengeglaubten Aufzeichnungen zu einer unerwarteten Reise, nach welcher für mich alles ganz anders wurde und die im Weiteren dazu führte, daß ich die wilden postsowjetischen neunziger Jahre in Rußland hautnah miterleben durfte.
Versteckt in Unmengen an sonstigem Geschriebenem, kopiert von Festplatte zu Festplatte, von Computer zu Computer, hatten diese Aufzeichnungen mich auf meinen wirren Wanderungen begleitet und sind nun in Montenegro gelandet; wo ich sie denn auf der Suche nach irgendwas anderem zufällig wiederfand.
Ich begann dann, sie auszuarbeiten und in der Klamurke portionsweise zu veröffentlichen. Das sind Notizen aus einer Zeit also, in welcher von Europa aus humanitäre Hilfsgüter in die zusammenkrachende Sowjetunion gebracht wurden und die Europäer die bösen Sowjets als am Boden liegendes hilfloses Wesen erleben durften; und besonders heute, wo die Russen in offizieller europäischer Darstellung wieder zu den bösen Russen wurden, scheinen solche Erinnerungen mir interessant.
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Das begann am 11. Dezember des Jahres 1990, als ich in Stuttgart beim Frühstückskaffee von einer Bekannten, bei der ich grad zu Besuch war, gefragt wurde, ob ich nicht an ihrer statt nach Wolgograd fliegen könnte. Das Diakonische Werk habe sie gebeten, eine humanitäre Fracht dortselbsthin zu begleiten; sie habe zugesagt; aber eigentlich habe sie keine Lust, nach Wolgograd zu fliegen.
Nach kurzem Überlegen willigte ich ein.
Es folgten zwei Tage in der sich auflösenden sowjetischen Garnison in Wünsdorf, Flug in einem sowjetischen Transportflugzeug, einer Antonov 22 (siehe obiges Bild), nach Twer, wo es nach kurzem Aufenthalt weiter ging nach Wolgograd; mehrere Tage Wolgograd, und schließlich weiter nach Moskau.
Bis Wolgograd war eine deutsche Delegation mit dabei; darunter auch ein professioneller Fotograf. Den Fotografen konnte ich dank Facebook wieder ausfindig machen; hab ihn kontaktiert und hoffe, daß er in seinen Beständen noch ein paar Fotos findet von jener Expedition.
Gleichfalls dank Facebook konnte ich zweie von der damaligen Wolgograder Mannschaft wiederfinden; provisorischer Kontakt ist hergestellt; fürchte aber, daß ich das ganze Material erst mal ins Russische übersetzen muß, damit man es gemeinsam weiter ausarbeiten kann.
Ich hab dann eine eigene Seite geschaffen, wo ich das Material in chronologischer Abfolge veröffentlichte; tat dann auch noch sonstige bereits veröffentlichte in Rußland entstandene deutschsprachige Notizen hinzu.
Werd das alles möglicherweise noch weiter ausarbeiten.
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Auf jener Unterseite ist auch eine Notiz aufgeführt vom 9. Oktober 1993: Notizen während einer g’mütlichen Flußdampferfahrt
Das war während der Unruhen in Moskau Anfang Oktober 1993. Selbst war ich damals nicht direkt dabei; schipperte auf dem Flußdampfer „Juri Andropow“ über den Moskwa-Wolga-Kanal und über die Wolga dahin. Irgendein Kongreß wurde da abgehalten über die Zukunft Rußlands (auf welchen Wegen ich da reinrasselte, weiß ich nicht mehr; weiß nur noch, daß ich dabei war), während in Moskau die Gegenwart wütete.
Die Nachrichtenübermittlung war damals noch nicht so perfekt eingerichtet wie heute, wo jeder ein Handy hat: was in Moskau passierte erfuhren wir über Transistorradios und über ein Fernsehgerät, das man an Bord irgendwo hatte auftreiben können. Der Empfang war miserabel; aber die Erstürmung des Fernsehsenders Ostankino wirkte trotz der schlechten Bildqualität recht besorgniserregend.
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Vor ein paar Tagen suchte ich hier in Montenegro nach einem Bekannten, der, wie ich weiß, damals in Ostankino direkt dabei war; und zwar als Polizeioffizier (oder OMON; weiß nicht; hab mich noch nie mit ihm darüber unterhalten). Seine Leute hätten damals schießen sollen; aber er weigerte sich, den Schießbefehl zu geben, und wurde in der Folge deswegen degradiert (oder wie nennt man das im Deutschen? Ну, разжаловали его). Hab ihn noch nicht angetroffen; aber vielleicht ergibt sich noch ein Gespräch. Ohne seine Einwilligung will ich nicht mal seinen Namen nennen.
Daß der Tag, an dem mir in den Sinn kam, ihn über seine damaligen Erlebnisse zu befragen, genau der Jahrestag ist, an dem das alles passierte, fiel mit erst anschließend auf.
Ein paar Tage später stieß ich dann in der Prawda auf ein Interview mit Alexander Ruzkoi, der damals enger in diese Geschehnisse involviert war. Für mich wurde durch dieses Interview sehr vieles sehr viel klarer, als es vorher war (selbst als ich mehr oder weniger mitten drin steckte war det alles für mich recht nebulös; ja nu, nicht ganz so nebulös wie für die lieben Wessis, die ihr Rußlandbild den westlichen Massenmedien entnehmen; aber doch: recht nebulös). Werd mich wohl oder übel in dieser Richtung noch etwas weiter schlau machen müssen, um die Nebel noch weiter zu lichten und auch die Gegenwart besser zu verstehen.
Würde einem jeden, der jüngere Vergangenheit und Gegenwart Rußlands besser verstehen will, und der über genügend Russischkenntnisse verfügt, dringend raten, sich das Interview anzuhören; findet man hier. Man versteht dann auch besser, mit was für Problemen der bei den westlichen Bürgersleut’n vielgeschmähte Putin zu kämpfen hat.
Und wer nicht genügend Russisch kann, um gesprochenen Text zu verstehen, kann das Ganze hier nachlesen (hoffe, daß es alles ist oder zumindest das Wichtigste; hab nicht nachgesehen)
Und sollte unter Nichtrussischsprachigen weitflächig realer Bedarf bestehen, so würde ich sogar auf mich nehmen, es ins Deutsche zu übersetzen (einfach so würde ich das nicht machen; iss doch etwas viel)
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So weit mal
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So isses